Kapitel 2 - Der Bodhisattva "Endloser Körper"
Dann gab es zu dieser Zeit ein Weltensystem in Richtung Osten, das Mano-Rama-Madhura-Svara-Maryada hieß und das so (viele Weltensysteme von dieser unseren Welt) entfernt war wie die Sandkörner von unzählbaren Billionen von Ganges-Strömen, und wo ein Tathagata-Arhat-Samyak-Sambuddha mit Namen Akasasama ("Raum-gleich") wohnte. Er redete seinen führenden Sohn, den Sravaka Maha-Ananta-Kaya ("endloser Körper"), an und sagte: "Edler Sohn! Gehe zum Saha-Reich (d.i. zu der Erde), denn es befindet sich dort ein Tathagata-Arhat-Samyak-Sambuddha, der Sakyamuni heißt und der dabei ist, ins Parinirwana einzugehen. Aus diesem Grunde sollst du dieses Weltensystem verlassen und nahrhafte, köstliche Speisen-Opfergaben mitnehmen! Gehe dorthin und überbringe auch große Opferspenden! Wenn du dort ankommst, sage ihm: 'ich beschwöre den Tathagata-Erhabenen, dieses Mahl anzunehmen und (erst) dann ins Parinirwana einzugehen!' Falls du Zweifel oder irgend eine Unsicherheit in bezug auf irgendweiche Angelegenheiten hast - so frage jenen Tathagata sorgfältig darüber aus, und er wird es dir darlegen."
Daraufhin erwiderte jener Bodhisattva-Mahasattva Maha-Ananta-Kaya: "Jawohl! Jawohl!" Nachdem er diesen Tathagata umwandelt hatte, verneigte er sich bis zu seinen Füßen. Dann, umgeben von unzähligen (anderen) Bodhisattva-Mahasattva-Ananta-Kayas, kam er zu diesem Saha-Weltensystem. In diesem Augenblick bewegte sich diese Drei-Tausend-Große-Tausender-Welt, bewegte sich vollends, schwankte, schwankte vollends, schüttelte sich, schüttelte sich gänzlich, drehte sich um, drehte sich völlig um, ächzte, ächzte ganz, sank, sank völlig, kräuselte sich, kräuselte sich völlig. Auf soiche Weise bewegte sich der Boden.
Daraufhin waren die Götter, wie z.B. Brahma, Indra, die vier Weltenhüter, die Asuras, Mahesvara - inmitten ihrer hier versammelten Begleitung - sehr erschrocken, da sie den Boden auf diese Art beben sahen, und sie sagten: "Ach! Dies ist erschreckend!" Ihnen wurden der Mund und die Kehle trocken, und sie liefen aus Angst auseinander, indem der Glanz eines jeden von ihnen matt und schwach wurde. Dann erhob sich mitten in jenem versammelten Gefolge Manjusri-Kumara-Bhuta (d.i. die Verkörperung spiritueller Einsicht und tiefen buddhistischen Verständnisses) und redete diese Götter-Mengen also an: "Freunde, habt keine Angst, habt keine Angst! Es gibt ein Weltensystem, das Mano-Rama-Madhura-Svara-Maryada heißt und das sich östlich von diesem Buddha-Land befindet, und zwar so weit entfernt und jenseits so vieler Weltensysteme wie die entsprechende Zahl der Sandkörner von unzähligen Billionen von Ganges-Strömen. Da wohnt jetzt ein Tathagata-Arhat-Samyak-Sambuddha namens Akasasama. Dieser Tathagata rief den Sravaka (Schüler, Anhänger), der sein erster Sohn ist, und sagte: 'Edler Sohn! Gehe zum Saha-Reich, denn es befindet sich dort ein Tathagata-Arhat-Samyak-Sambuddha, der Sakyamuni heißt und der dabei ist, ins Parinirwana einzugehen. Biete ihm und seinem Sangha von Mönchen das letzte Mahl, stelle ihm Fragen über deine Zweifel und deine Unsicherheit, und er wird dir (alles) erklären!' Jener Erhabene hat den Bodhisattva-Mahasattva Maha-Ananta-Kaya, der von unzähligen anderen Bodhisattvas umgeben ist, hierher gesandt. Euer eigener Glanz ist von der Leuchtkraft derer, die hierher gekommen sind, in den Schatten gestellt worden. Freut euch darüber, dass sie gekommen sind! Seht! Der Tathagata Akasasama bringt unserem Tathagata Opferspenden dar!"
Dann sahen alle diejenigen, die sich in diesem versammelten Gefolge befanden, jenen Tathagata, der in jenem fernen Weltensystem wohnte, sowie jenes Weltensystem selbst, ganz klar, genau wie wenn sie ihr eigenes Gesicht in einem Spiegel betrachteten.
Darauf sagte Manjusri-Kumara-Bhuta zur Versammlung: "So wie ihr dieses Weltensystem und diesen Tathagata seht, seht auch die anderen Tathagatas und Weltensysteme in den zehn Richtungen ! So ist die Größe der Tathagatas, denn sie offenbaren sich euch hier, während jeder von ihnen in seinem eignen Wohnort bleibt."
Das versammelte Gefolge sagte schluchzend: "Weh! Trotz dieser Größe des Tathagata ist es dennoch sehr traurig, dass er ins Parinirwana eingehen will!"
Dann wurde der Bodhisattva-Mahasattva Maha-Ananta-Kaya sichtbar, von zahllosen Bodhisattvas umgeben, und jeder Pore des Körpers dieses Bodhisattva entsprossen riesige Lotosblumen. Auf jeder dieser Lotosblumen befanden sich 78,000 Städte, von denen alle ohne Ausnahme so groß waren wie die Stadt Vaisali. Jede von ihnen war von sieben Mauern umringt, die aus edlen Materialien waren, und von sieben Burggräben, die mit sieben Reihen von Palmen geschmückt waren. Die Straßen waren blühend, geschäftig und sicher, jede eine Freude anzuschauen. Jene Mauern waren auch von (Reihen) großer Türme umgeben, die aus Gold vom Jambu-Fluss hergestellt worden waren, und es gab auch vielerlei Arten Bäume voller Lebenskraft, die Früchte und Blumen trugen und die sich zwischen jedem jener Türmchen befanden. Noch dazu: indem der Wind die Zweige jener Bäume in Bewegung setzte, entsandten sie entzückende und reizende Töne, wie Musik, die mit den fünf Arten von Instrumenten gemacht wird, und diese Töne bezauberten, entzückten und erfreuten die Einwohner.
Überdies waren alle jene Burggräben mit kühlem, kristallklarem Wasser gefüllt, und die Einwohner amüsierten und ergötzten sich in aus edlen Materialien gebauten Booten, indem sie immer und immer wieder in ihnen umhersegelten. Die Wasseroberfläche in jenen Burggräben war auch mit Padmas, Utpalas und Kumudas (d.i. Arten von Lotosblumen) geschmückt, jedes so groß wie ein Wagenrad, während die Ufer jener Burggräben mit einer Reihe von Lustgärten verschönert waren. Ferner gab es in allen diesen Lustgärten fünf Seen; jeder hatte einen Umfang von einem halben Yojana, und sie waren auch mit duftenden Padmas, Utpalas und Kumudas von verschiedener Farbe geschmückt, jedes so groß wie ein Wagenrad, und die Ufer dieser Seen waren auch mit einer Reihe von Bäumen geschmückt, die mit Blüten beladen waren. Überall in diesen Lustgärten fanden sich weibliche Schwäne, Ruderenten und Reiher, die nach den Lotossamen pickten.
Es gab auch Wohnungen in jenen umgebenden Lustgärten, und jedes dieser Häuser hatte Flüsse, jeder von ihnen von vier Yojanas Breite. Die vier Mauern dieser Wohnungen waren jeweils aus Gold, Silber, Beryll und Kristall, und von den Mauern herunter hingen riesige Schnüre voller Perlen, die mit Edelsteinen außerordentlicher Schönheit untermischt schimmerten, während der Boden aus Quartz gemacht war. Diese turmhoch aufragenden Paläste waren mit großen Toren, Fenstern und goldenen Geländern geschmückt, während der Boden mit Goldstaub bestreut war. Sie (d.h. diese Wohnungen) hatten Teiche, von denen jeder eine goldene Treppe mit achtzehn Stufen besaß. Die Teiche waren durch Pisangbäume aus reinem Gold alle ihre Ufer entlang reizend gemacht worden, und sie waren mit Wasser gefüllt, weiches den Duft göttlichen Sandelholzes hatte.
In jeder dieser großen Städte fanden sich auch 84,000 Könige, von denen alle von zahllosen Frauen begleitet wurden, und die sich, mit den fünf lustvollen Erscheinungen ausgestattet, mit Vergnügungen und Genüssen ergötzten. Die übrigen Einwohner waren diesen Königen ähnlich. Es war eine Freude, den Boden zu berühren, als wäre er ein Samttuch (kacalindika) und er war mit Sandelholz-Wasser besprengt, mit Blumenblättern bestreut, und die übrigen Einwohner amüsierten sich nach Herzenslust darauf. Alle Rede in jenen Städten ging um das Mahayana, und die niederen Wege wurden niemals erwähnt.
Überdies befanden sich große Löwenthrone auf jeder jener großen Lotosblumen, deren Beine jeweils aus Gold, Silber, Beryll und Kristall waren. Jeder Thron war mit einem Samttuch behängt, war äußerst kostbar und von den vorzüglichsten Gegenständen der drei Reiche umgeben. Die Könige saßen auf den Löwenthronen und lehrten die anderen Einwohner die Mahayana-Sutren. Einige wurden darin unterrichtet, die Worte in der Gegenwart dieser Könige zu schreiben, während andere sie lasen oder rezitierten.
Und dennoch: obwohl die Menschen, die sich auf den Lotosblumen befanden, weiche den Poren des Bodhisattva-Mahasattva Maha-Ananta-Kaya entsprossen waren, auf diese Art mit fünffach lustvollen Gegenständen versehen waren, warfen sie sie völlig weg. Von Elend gequält, Wehklagen ausstoßend und aus Verzweiflung seufzend, trugen sie bei sich einen Haufen Opferspenden, die sie (dem Erhabenen) darbieten wollten, die zweimal so viele waren als die, die vorangegangen waren.
Dann manifestierte der Bodhisattva-Mahasattva Maha-Ananta-Kaya - von unzähligen anderen Bodhisattvas begleitet - diese Art Reichtum und kam dorthin, indem er eine Unmenge von Opfergaben und eine äußerst große Sammlung von Lebensmitteln mitführte, die wohlriechend mit dem Duft von Lotosblumen und frei von allen Unreinheiten waren. Darüber hinaus erschauten alle Menschen in der Welt aufgrund der großen Macht jenes Bodhisattva diese (Vielfalt der Opferspenden), aber niemand war imstande, den Bodhisattva-Mahasattva Maha-Ananta-Kaya selbst zu erschauen, da der Umfang seines Körpers dem des Raumes gleich war.
Dann trat der Bodhisattva-Mahasattva Maha-Ananta-Kaya vor den Erhabenen hin, verneigte sich bis zu seinen Füßen und sagte darauf, mit in Verehrung zusammengelegten Handflächen: "ich beschwöre den Erhabenen, die Lebensmittel anzunehmen, die ich darbringe." Der Erhabene schwieg und wollte immer noch nichts sagen, obwohl er ein zweites und ein dritten Mal gebeten wurde. Daraufhin erhob sich der Bodhisattva und nahm beiseite Platz.
Auf ähnliche Weise kamen Bodhisattva-Mahasattva-Maha-Ananta-Kayas - jeder von einem ungeheuren Gefolge umgeben - aus dem Südwesten, dem Westen und dem Norden an. Ihre Lotosblumen und Städte waren zweimal so groß wie die Vorangehenden, und ihr Reichtum war auch doppelt so viel wie der vorige Reichtum. Nachdem alle von ihnen dort eingetroffen waren, brachten sie dem Erhabenen ihre Opferspenden dar und nahmen wie zuvor beiseite Platz.
Es gab keinen Platz, an dem keine Lebewesen auf dem Boden saßen innerhalb eines Kreises, der sich 32 Yojanas weit ausdehnte und diesen vervollkommneten Ort der doppelten Sala-Bäume umfasste. Da saßen - mitsamt ihrer Begleitung - etliche jener Bodhisattva- Mahasattvas, deren Körper in dieser Weise vollkommen riesig waren, an einem Platz nur so groß wie die Spitze einer Nadel; etliche saßen an einem Platz nur so groß wie die Spitze eines Haars, und etliche saßen an einem winzigen Ort nicht größer als ein Atom. Jene Bodhisattvas, die in Weltensystemen saßen, die so winzig waren wie Atome, hatten sich dort versammelt und setzten sich auf die gleiche Weise nieder.
Es gab niemanden unter den Menschen des Jambu-Kontinents - mit Ausnahme vom Älteren Kasyapa, dem Hochwürdigen Ananda und dem König Ajatasatru - , der sich nicht dort eingefunden und Platz genommen hatte. Selbst jene Kreaturen, die auf die sechzehn schädlichen Weisen handeln, wie z.B. giftige Insekten, giftige Schlangen, Skorpione und Spinnen, versammelten sich dort. All die Danavas (Dämonen) und die Asuras, die sich ständig dem Krieg hingeben, hatten aufgehört, böse Taten zu tun und betrachteten einander, als wären (sie gegenseitig) ihre (eigenen) Kinder, Mütter oder Schwestern. All die Lebewesen, die in der Dreitausend-Großen-Tausender-Welt wohnten, handelten auch mit Güte zu einander, als wäre jedes ihr einziges Kind - mit Ausnahme von den Icchantikas (d.i. den moralisch niedrigsten aller Wesen).
Auf Grund der spirituellen Macht des Tathagata wurde dieses Saha-Weltensystem wie die Welt Sukhavati (d.i. ein buddhistisches Paradies der höchsten Art), frei von Erdklumpen, Steinen, Kies, Disteln und Dornen, und seine Bäume wurden mit Rankengewächsen aus edlen Materialien umschlungen, die glatt waren und sich weich anfühlten. Während sie da saßen, erschauten alle dort versammelten Wesen andere Weltensysteme, die so zahlreich waren wie Atome, sowie die seligen Buddha-Länder, so deutlich, als sähen sie ihr eigenes Bild in einem Spiegel.
Dann strömten strahlende, verschiedenfarbige Lichter - blau, gelb, rot, weiß oder von krappähnlichem bzw. kristallnem Farbton - wie Feuerzungen aus dem Gesicht des Tathagata heraus, vollbrachten alles, was zu tun vonnöten war, kehrten daraufhin zurück, drangen in das Gesicht des Erhabenen ein und wurden unsichtbar. Der Glanz aller Gruppen der dortigen Lebewesen wurde von jenem leuchtenden Licht in den Schatten gestellt. Daraufhin, als sie sahen, wie die Lichtstrahlen in das Gesicht des Erhabenen hineinverschwanden, fürchteten sich die Einwohner der Welt mit ihren Göttern, Asuras und Menschen und seufzten, wobei sie sagten: "Das ist nicht zu begreifen, wie die Lichtstrahlen des Tathagata hervorleuchteten und dann ohne jeden Zweck verschwanden! Sicher hat der Tathagata alles vollbracht, was er in den zehn Richtungen zu tun hatte und geht bestimmt jetzt in das Parinirwana ein! Da der Erhabene Nahrung von gar niemandem annehmen will, hat er denn den Vier Unermesslichen (Tugenden von Güte, Mitleid, Mitfreude und Gleichmut) gegenüber allen Lebewesen seinen Rücken gekehrt? Hat er vor, zu fasten und zu verscheiden? Weh! Werden die Sonne und der Mond dieser Welt untergehen? Wird das Schiff des authentischen Dharma sinken? Weh! Was sollen wir tun?!"
Darauf wurde der Boden schlammig mit dem Blut, das aus den Wunden tropfte, die sie sich ihren eigenen Gliedern beigebracht hatten, und sogar der Hiranyavati-Strom floss rot mit Blut.