Kapitel 3 - Cunda
Damals befand sich unter denjenigen, die sich dort versammelt hatten, der Sohn eines Schmieds von Kusinagara, der ein Upasaka (Anhänger des Buddha) war und der Cunda hieß. Zusammen mit fünfzehn weiteren Schmiedssöhnen stand er auf. Jeder verhielt sich korrekt und schaute die Leute an. Jeder von ihnen blößte die eine Schulter, setzte ein Knie auf den Boden und grüßte den Erhabenen. Unfähig, ihre Tränen zu unterdrücken, warfen sie sich ihm zu Füßen und baten ihn folgendes:
"Erhabener! ich wünsche, dem Gebieter Tathagata-Arhat-Samyaksambuddha sein letztes Mahl in Gesellschaft des Sangha anzubieten, damit alle Lebewesen befreit werden dürfen. ich habe keinen Beschützer, keinen Freund und kein Asyl. ich bin verarmt und ohne Hoffnung. ich bitte den Erhabenen, nicht ins Nirwana einzugehen, ehe er dieses Mahl eingenommen hat, das ich ihm anbiete.
"Erhabener! Zum Beispiel! Ein äußerst armer Haushalter oder Brahmane mag ins Ausland wandern. Er beginnt recht ordentlich und mit großer Begeisterung, Ackerbau zu betreiben. Mit einer behenden Kuh vor den Pflug gespannt, beseitigt er die Steine, Disteln und Dorne aus dem Felde. Dann harrt er voller großer Hoffnungen des Regens, der aus den großen Wolken fallen wird. In gleicher Weise, Erhabener, habe ich mit der Kuh der Sprache und des Geistes, weiche beide von den drei und den vier Fehlern frei sind und mit dem Pflug der Einsicht die vielen Steine, Disteln und Dorne, die die Kleshas (negativen Charakterzüge) sind, von dem Felde meines Körpers beseitigt und harre jetzt des Dharma-Regens, der aus deiner großen Dharma-Wolke fallen wird. Da ich (den Erhabenen) mitsamt dem Sangha der Mönche eingeladen habe, flehe ich dich an, dieses Mahl, das ich dir angeboten habe, zu dir zu nehmen, damit es meine Armut zu Ende bringen und eine Arznei für alle Lebewesen sein möge. ich habe keinen Beschützer und kein Asyl, daher flehe ich den Tathagata an, mich wie (deinen Sohn) Rahula zu behandeln."
Da redete der Erhabene, der Allwissender, der Sieger, der Beste aller Menschen Cunda, den Schmiedssohn an: "Cunda! Der Tathagata-Arhat-Samyaksambuddha wird in der Tat dein Mahl einnehmen, weiches du anbietest, und das ein Danaparamita (vollkommenes Almosen-Schenken) ist."
Da sie dann hörten, dass der Tathagata, begleitet vom Sangha, dieses letzte, von Cunda angebotene Mahl zu sich nehmen wollte, dies Mahl, das ein großes Danaparamita (vollkommenes Almosen-Schenken) war, waren die Götter, Menschen und Asuras wahrlich erstaunt und riefen aus: "Wunderbar! Wunderbar!", und dann sprachen sie folgendes zu Cunda, dem Schmiedssohn: "Ach! Cunda, der Schmiedssohn! Du vielgeliebtes Kind, der du einen Menschenkörper besitzest, du hast großes Verdienst errungen. Du hast gutes Glück gewonnen. Cunda, etwas so schön wie der Udumbara-Blume ist in der Welt schwer zu begegnen, jedoch die Erscheinung eines Tathagata ist bei weitem rarer. Noch rarer ist es, Glauben (in sich) an den Tathagta zu erwecken. Auch rarer ist es, den Dharma zu hören. Sogar rarer ist es, dem Tathagata sein letztes Mahl anzubieten. Auch rarer ist es noch, dem Tathagata gegenüber ein letztes Danaparamita zu vollziehen. Cunda, Schmiedssohn! Wir salutieren dich!
"Zum Beispiel! Wenn wir die schöne, leuchtende Scheibe des Vollmonds im Herbst betrachten - wenn der Mond von keinen Wolken verschleiert ist - , steht alleinig der Mond leuchtend da vor unseren Augen. In ähnlicher Weise leuchtest du alleinig unter allen Wesen, da der Tathagata sein letztes Mahl von dir angenommen hat. Wir salutieren dich immer wieder. Cunda! Obwohl du einen Menschenkörper hast, bist du ein Gott unter Göttern. Du bist wie Rahula, Sohn des Tathagata."
Darauf äußerten sie folgende Verse:
"Du bist eher ein ausgezeichneter Gott als
ein Mensch,
Du bist der ausgezeichnetste unter allen Menschen,
ein Herr,
äußerst hervorragend;
Daher richten wir diese Bitte an dich:
Laß nicht zu,
dass der Meister ins Nirwana eingehe!
Aus Mitleid mit uns allen, O
Cunda,
Damit den Wesen auf lange Zeit geholfen wird,
Bitte freundlichst
den Beschützer, den Lehrer von unzähligen (Wesen),
Auf immerdar (hier) zu
bleiben und den Nektar des Dharma zu spenden!
Da er sich jetzt von weltlicher
Existenz befreien und ins Nirwana eingehen will,
Wenn du diese Bitte jetzt
nicht an ihn richtetest,
Würden wir wissen, dass alles wertlos sei.
Also,
richte um unsretwillen diese Bitte an den Beschützer."
Dann freute sich der Schmiedssohn Cunda enorm, wie einer, der seine beiden verstorbenen Eltern noch lebend vor sich wiedersieht. Er streckte seine Hände aus und warf sich vor dem Erhabenen nieder und sprach diese Verse:
"Ach! Heute habe ich wahrlich etwas
Wertvolles erworben;
ich habe die Frucht der Geburt im Menschenreich
Und
werde nicht von dem, was ich hier erlangt habe, getrennt werden.
ich werde
nicht hinab in die unerträgliche Hölle geraten.
Dieser hiesige heutige Erwerb
größten Wertes
Übertrifft einen Haufen Gold:
Seitdem ich dem Helden, dem
Sugata ("dem, der zum Glück gegangen ist") begegnet bin,Hege ich fortan keine
Furcht mehr vor dem Tierreich (d.h. ich habe keine
Angst mehr davor, als Tier
wiedergeboren zu werden);
Dass ich jetzt (die Gelegenheit für) tiefes
Vertrauen zum Buddha habe,
Ist etwas so selten wie eine
Udumbara-Blume.
ich bin völlig befreit vom erschreckenden Leben eines
Hungergeists;
ich habe die unerträglichen Samen der Geburt als Asura (Dämon)
besiegt.
Dass ich heute einem Tathagata begegnet bin,
Dessen Erscheinung
selten ist, ist (etwas so schwierig und so selten),
Wie wenn man einen
Sesamsamen auf der Spitze
Einer Nadel balancieren würde.
Da ich ihm das
höchste Danaparamita angeboten habe,
Werde ich immer bis ins Reich der Götter
hinaufsteigen.
Da ich dem Weisen begegnet bin, der an weltlichen Dingen nicht
hängt,
Ebenwie Wasser am Lotos in einem Teich nicht haftet,
Werde ich alle
Wurzeln und Samen der samsarischen Existenz ausgraben
Und das große Meer von
Samsara überqueren.
Obwohl es für eine blinde
Wasserschildkröte im Meer schwer sein würde,
Ihren Hals durch das Loch eines
(zufällig vorbeifließenden) Jochs zu stecken,
Noch schwieriger ist es, dem
Sugata begegnet zu sein
Und ihm heute eine Opferspende dargeboten zu
haben:
Aus diesem Grunde werde ich alle nutzlosen Kleshas
abschlagen.
Obwohl die Götter dem Tathagata wunderbare Mahlzeiten angeboten
haben,
Hat er sie nicht gegessen, sondern hat statt dessen
Dieses Essen
von mir angenommen,
Weiches unappetitlich ist wie eine Eranda-Blume,
Und
daher habe ich das größte Verdienst der Welt gewonnen!
Alle Lebewesen dieser
Welt,
Von Brahma und Indra (bis zu den kleineren Göttern hinab),
Sind
hierher gekommen und haben mich ehrerbietungsvoll angebetet.
ich habe in eben
diesem Leben diesen höchsten Rang der Ehre erreicht."
Dann legte Cunda aus Respekt die Handflächen zusammen und sagte dem Erhabenen:
"Herr! Die ganze Welt leidet in Qualen, da
sie sieht, dass du im Begriff bist,
ins Nirwana einzugehen.
Aller Kraft
und Stärke bar, ruft sie 'Weh!' aus.
Verlass sie nicht,
Sondern betrachte
sie für immer als deine Kinder!
Genau vergleichbar dem Gipfel eines hoch
aufragenden Goldberges,
Der schön aus dem großen Ozean emporragt,
Mögest
du, bitte, O Herr des Dharma, der du
Majestätisch mitten im Sangha
sitzt,
Den Dharma lehren!
Ebenwie wenn die strahlende Sonne aufgeht
Und
mit ihren Lichtstrahlen die dichten Wolken vertreibt,
So mögest auch du, O
großer Weiser, mit deiner Leuchte der Erkenntnis (jnana),
Heute das Elend
vieler Leute vertreiben.
Die Augen dieser Wesen sind mit Dunkelheit
umhüllt,
Und sie versinken in die Tiefen des Meeres vollsten Leides.
Lass
sie daher jenes Vertrauen in sich empfinden, das
Schwer zu erlangen
ist,
Und bleibe längere Zeit, um ihre Leiden zu zerstören!"
Dann sagte der Erhabene zu Cunda: "Cunda, dem ist so, dem ist so. Die Erscheinung eines Buddha ist äußerst selten, genau wie die einer Udumbara-Blume. Es ist schwer, Glauben zu entfalten. Schwer ist es auch, den Dharma zu hören. Schwer auch, das Danaparamita zu verwirklichen, (das man verwirklicht, indem man) das letzte Mahl beim Anlass des Parinirwana eines Tathagata darreicht. Und dennoch, Cunda, weine nicht, sei nicht traurig - du solltest dich darüber freuen, dass es dir gelingen wird, das höchste Danaparamita zu vollenden, indem du dem Tathagata das letzte Mahl darreichst. Du solltest auch den Tathagata nicht inständig bitten: 'Erhabener! ich flehe dich an, bleibe!' Erkenne das essentielle Wesen (dharmata) der Buddhas! Erkenne die Vergänglichkeit! Erkenne die Natur der zusammengesetzten (d.h. bedingten) Dinge!"
Nachdem er dies gesagt hatte, sprach er folgende Verse:
"Auch ein sehr langes Leben geht zu
Ende.
Alles hier wird sicherlich sterben;
Es gehört zum Wesen des
Weltlebens, das es untergeht.
Alles, was man besitzt, wird verfallen und
vergehen.
Die Jungen werden immer vom Alter erobert.
Die Schönheit und
Gesundheit werden von der Krankheit zerstört,
Der Tod wird das Leben mitsamt
dessen Wurzel ausrotten:
Es gibt nichts in der ganzen Welt, was (für immer)
besteht.
Die Macht ist unbeständig, ebenfalls ist das Leben
unbeständig;
Die Leute kreisen im Samsara (Kreis der Wiedergeburten) immer
mit Leiden herum,
Es gibt nichts Festes in den drei Welten,
Und alle
Geschöpfe verbringen ihr Leben in diesen Arten des Daseins.
Das Dasein ist
prekär, von Natur aus vergänglich,
Man findet darin keinen Trost;
Überall
wird alles immer von den Schrecken
Des Alters, der Krankheit und des Todes
heimgesucht.
Du sollst wissen, dass das Dasein
Unbegrenzte Instabilität
ist, es ist flüchtig,
Völlig feindlich und boshaft;
Umhertreibend sind hier alle (Leute in der
Welt)
In dem Gewebe ihrer Kleshas (negativen Charakterzüge und
Tendenzen)
eingesponnen wie Seidenraupen.
In der Welt (sein) ist die Quelle des
Harmes,
Denn das ist als Folge immer mit Leiden verbunden.
Wer würde sich
an jenen Lustobjekten und am unreinen Körper ergötzen,
Wenn er das Heilsame
sucht und danach trachtet, das Leiden zu beseitigen?
Du wirst frei von Haften
werden, wenn du richtig verstehst, (wenn du)
Ohne Anhänglichkeit an
vergänglichen Lustobjekten bist.
Dann, da du die Dinge wahrhaft
erkennst,
Wirst du frei vom Haften werden,
Getrennt von ihnen (d.h. von
weltlichen Dingen) wirst du in der Tat befreit werden.
ich habe die wässerige
Wildnis des Daseins gut überquert,
ich verweile in Glückseligkeit, da ich das
Leiden überschritten habe.
So bin ich der endlosen Gier bar,
ich habe die
Anhänglichkeit überwunden und die Befreiung gewonnen.
Es gibt kein Altern,
keine Krankheit und keinen Tod (mehr) für mich,
ein Leben ist ewig ohne
Ende;
ich fahre fort (Englisch: "proceed") wie eine hell verbrennende
Flamme:
Du darfst dir nicht denken, dass ich zu sein aufhören
werde.
Betrachte den Tathagata wie (den größten Berg) Sumeru:
Obwohl ich
hier ins Nirwana eingehen werde,
Ist jenes höchste Glück mein essentielles
Wesen (dharmata).
(Also) weine nicht, denn dies ist das Reich der Sieger
(jinas)."
Dann sagte der Schmiedssohn Cunda dem Erhabenen, "So ist es, so ist es! Wenn das Nirwana auch mein Begriffsvermögen übersteigt, um wieviel mehr ist dies der Fall bei jenen Wesen von niedrigen Pfaden (yana), die wie Fliegen sind! Ach, Erhabener! ich bin heute wie jene Bodhisattvas geworden, die die besten von Menschen sind, die Heiligen, die Hochachtung verdienen und die von den Lecken (asrava) befreit sind, wie zum Beispiel Manusri-Kumara-Bhuta.
"Erhabener! Als Beispiel: Ebenwie sogar ein Jüngling, der die Ordensvorschriften erhalten hat, seit dem Tag seines Fortziehens in die Heimatlosigkeit zum Sangha (Jüngergemeinde) zählt, so zähle auch ich in ähnlicher Weise durch die unterstützende Macht des Tathagata zu den Bodhisattvas. Erhabener, ich will, dass du auf lange Zeit da bleibst und nicht ins Nirwana eingehst, wie irgend ein Stück verbranntes Essen."
Dann sagte Manjusri-Kumara-Bhuta zu Cunda, dem Schmiedssohn, "Cunda, du stolltest nicht sagen, dass du willst, dass der Tathagata lange (da) bleiben und nicht ins Nirwana eingehen sollte wie ein Stück verbranntes Essen. Du solltest in der Tat das Wesen zusammengesetzter Dinge vor Augen halten. Wer auch immer die Dinge so anschaut, wird die Kultivierung der Leerheit (sunyata) völlig vollenden. Jeder, der den wahren Dharma begehrt, sollte sich so üben."
Cunda antwortete, "Ehrwürdiger Manjusri: wenn der Tathagata, der der höchste Gott (deva) der Götter ist, zusammengesetzt ist (d.h. etwas gemachtes, erschaffenes, etwas, was aus verschiedenen, unbeständigen, vergänglichen Elementen hervorgebracht worden ist), dann ist er es nicht würdig, der Gott der Götter zu sein. ich weiß, dass zusammengesetzte Dinge wie Schaum sind; sie wechseln sich und drehen sich um wie die Räder eines Wagens. Während die große Langlebigkeit der Götter wohlbekannt ist, ist der Tathagata noch nicht einmal hundert Jahre alt geworden. Daher ist der Tathagata es nicht würdig, der Gott der Götter zu sein.
"Als Beispiel! Irgendein Mann wird Bürgermeister und wird infolgedessen äußerst mächtig - seine Macht übertrifft sogar die eines großen Ministers. Nachdem er die Früchte genossen hat, die ihm natürlicherweise infolge seiner Macht zufließen, beginnt jene Macht abzunehmen in dem Maße, wie seine Verdienste erschöpft werden. Dann wird er dazu gezwungen, für andere zu arbeiten und wird von ihnen beleidigt. Warum das? Weil er verarmt geworden ist. Auf ähnliche Weise würde es den Grund seines Todes bilden, wenn der Tathagata zusammengesetzt wäre. Er wäre in einem soichem Falle dessen nicht würdig, der Gott der Götter zu sein. Also, Manjusri, betrachte den Gott der Götter, den Tathagata, den Arhat, den Samyaksambuddha nicht so, als wäre er wie soiche zusammengesetzte Dinge. Ferner, Manjusri: schreibst du auf fälschliche Weise das Wesen zusammengesetzter Dinge absichtlich oder aus Versehen dem Tathagata zu? Wenn der Tathagata zusammengesetzten Dingen ähnelt, so ist er es nicht würdig, der Gott der Götter zu sein, der die Dharma-Herrschaft innerhalb aller drei Reichen erlangt hat.
"Zum Beispiel! Irgendein mächtiger König mag einen Krieger haben, der tausend Kriegern überlegen ist. Da er sich von keinem andern Krieger besiegen lässt, nennt man ihn den, der stärker ist als tausend Krieger. Da es keine Krieger gibt, die ihm gleichkommen, verdient er denn etwa seinen Titel nicht, wenn man hört, wie er 'stärker als tausend Krieger' geheißen wird? Im Gegenteil: wenn er diese Eigenschaft besitzt, bekommt er diesen Titel, der diese Eigenschaft ausdrückt. In selbiger Weise: da der Tathagata alle Krieger besiegt hat, will sagen, die Maras (Teufel, Dämonen) der Kleshas (negativen Gedanken, Gefühle und Charakterzüge), die Maras der Skandhas (d.i. der körperlichen und geistigen Bestandteile des Lebewesens), den Devaputra-Mara (Mara des - unbeständigen - Himmels) und den innerlichen Mara, ist er wegen seiner wirklichen Eigenschaften überall in den drei Reichen als den Tathagata-Arhat-Samyaksambuddha bekannt, ebenwie derjeniger, der stärker ist als tausend Krieger. Daher sollst du dir nicht, ehrwürdiger Manjusri, fälschlicherweise einbilden, dass der Tathagata wie zusammengesetzte Dinge sei.
"Stellen wir uns als Beispiel ein Kind vor, das in der Familie irgendeines reichen Landbesitzers geboren wird, dessen (d.h. des Kindes) Lebenserwartung aber kurz ist. Wenn die Astrologen das Kind sehen, deuten sie an, dass das Kind nicht lange leben wird. Da sie das hören, denken sich die Eltern, dass das Kind der Familie zu nichts taugen werde, und so - ohne die Sache abzuwägen - sind sie ihn nicht freundlich gewogen. Auf ähnliche Weise (pflegt) jedermann mit einer kurzen Lebensdauer, ganz gleich ob Mann oder Frau, Gott oder Brahmane, verachtet zu werden. Also, wenn man behauptet, der Tathagata sei bloß eine Ansammlung von dharmas (vergänglichen, bedingten Phänomenen, Dingen), lediglich etwas Zusammengesetztes (samskrta), wird der Tathagata von allen Welten verachtet werden. Da er erklärt hat, dass die Unerschöpflichkeit und Freiheit von Rückgang inmitten aller dharmas die Befreiung bildet, wäre es sinnlos, wenn er so (d.h. zusammengesetzt, erschaffen) wäre. Ehrwürdiger Manjusri, sage nicht, der Tathagata sei zusammengesetzt!
"Als Beispiel! Eine verarmte Frau ist hungrig, hat keinen Beschützer, ist krank, leidet und schwebt auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Sie fängt an, die Wehen zu bekommen, und so geht sie zu einem leeren Hause, wo sie ein Kind gebiert. Aber dann vertreiben sie die Leute, die früher mal dort gewohnt haben. Dann setzt sich diese unglückliche Frau, die eben ein Kind zur Welt gebracht hat, auf den Weg nach irgendeiner blühenden Gegend, dieweil sie ihr verhungerndes Kind in den Armen wiegt. Unterwegs wird sie von Moskitos, von Fliegen, vom Wind, von der glühenden Sonne und von giftigen Schlangen geplagt. Obwohl sie den großen Ganges-Strom überqueren will, gelingt ihr dies nicht - sie ertrinkt im Ganges, indem sie ihr Baby noch fest umklammert. Aber infolge des besonderen Verdienstes dieser Liebe zum Baby, weiche dazu führt, dass sie ums Leben gekommen ist, wird sie sofort nach ihrem Tode in der Welt des (Gottes) Brahma wiedergeboren. Weiches war also das besondere Verdienst ihrer Liebe, das zu ihrer dortigen Wiedergeburt führte? Sie wurde infolge folgenden besonderen Verdienstes dort wiedergeboren: dass sie darum besorgt war, das Kind in Sicherheit zu bringen, auch wenn es sie das Leben kosten sollte.
"Ebenfalls, ehrwürdiger Manjusri, sollte jeder rechtschaffne Mensch, der den Dharma hochhalten will, den Tathagata nicht als etwas Zusammengesetztes betrachten, ebensowenig sollte er so etwas auch nur denken. Er sollte den Erhabenen auf richtige Weise sehen und ihn als jenseits der Spannweite des Denkens betrachten, auch wenn er die Augen nicht besitzt, um ihn auf diese Art zu schauen. Jemand, der allen Wesen heilsame Lehren erläutert, sollte lehren, dass der Tathagata nicht zusammengesetzt ist. Einer, der den authentischen Dharma hochhält, sollte sich so bemühen, auch wenn es ihn das Leben kostet, genau wie die junge arme Frau, die versuchte, den Ganges-Strom mit ihrem Baby zu überqueren. Er sollte den Tathagata als nicht zusammengesetzt betrachten, und dies als Mittel, um den authentischen Dharma hochzuhalten. Wenn er den Tathagata als nicht zusammengesetzt betrachtet, so wird er unmittelbar die Bedeutung der Befreiung erkennen, die zu seinem eignen Wohle führen wird.
"Ehrwürdiger Manjusri, ein Beispiel: ein gewisser Mann macht eine Reise und ist erschöpft. Er macht ein Schläfchen in einem Haus. Dann bricht ganz unerwartet ein großes Feuer aus. Indem er vom Feuer verbrannt wird, wird ihm klar, dass sein Leben zu Ende geht, und er wickelt - aus einem Gefühl von Anstand und Dekorum - seine Kleider um sich. Bei soicher Bedachtsamkeit stirbt er und wird als Folge vom Verdienst dieses Anstands und Dekorums achtzigmal im Himmel der Dreiunddreißig (Götter-Klassen), zehntausendmal im Himmel des Brahma, sowie viele Male als Weltbeherrscher (chakravartin) in der Menschenwelt wiedergeboren. Ohne je in den elenden Fährten (gati) des Daseins geboren zu werden, wird er wiederholt und sukkzessiv in einem glückseligen Zustand wiedergeboren.
"Auf die gleiche Weise sollst du, Manjusri, Anstand und Dekorum ausüben wie jener rechtschaffne Mann. Denke nicht, dass der Tathagata sein Leben in der Art und Weise von zusammengesetzten/zusammengestückelten (samskrta) Dingen lebt. Irgendein Mönch, der in der Befolgung der Vorschriften tadellos ist, der aber behauptet, dass der Tathagata zusammengesetzt sei, zählt schon zu den Tirthikas (Nicht-Buddhisten) und wäre besser daran, wenn er tod wäre. Diejenigen, die behaupten, der Tathagata sei zusammengesetzt (samskrta) - während er in Wirklichkeit nicht zusammengesetzt ist - , sind lügenhaft. Jene, die behaupten, der Tathagata sei zusammengesetzt, werden in die Höllen fallen, wie wenn diese letzteren ihre Heime wären.
"Ehrwürdiger Manjusri! Sieh den Tathagata nicht so an, als gliche er zusammengesetzten Dingen! Von nun an, indem du im Kreislauf des Samsara umherirrst und die Verblendung besiegst, sollst du unmittelbar erkennen, dass der Tathagata nicht zusammengesetzt ist! Handle so, und als Resultat dieser Kultivierung erlangst du schnell die zweiunddreißig (körperlichen) Merkmale eines Tathagata."
Dann sagte Manjusri-Kumara-Bhuta zu Cunda, dem Sohn eines Schmiedes, "Vortrefflich! Vortrefflich! Mögest du ein langes Leben haben! Ein edler Sohn (kula-putra) sollte so handeln. Edelgeborner, du weißt, dass der Tathagata ewig, immerwährend, nicht-zusammengesetzt und fest (dhruva) ist. Jetzt siehst du ein, dass der Tathagata bloß das verlässt, was zerbrechlich und zusammengesetzt ist (d.h. dass er den physischen Körper hinter sich lässt; der eigentliche Buddha selber ist etwas nicht Gemachtes, kein aus vergänglichen Elementen zusammengesetztes Wesen), und daher wirst auch du in Bälde wie der Tathagata werden. Der Buddha selbst wird später uns beide preisen und uns sagen, dass wir äußerst hohes Lob geäußert haben.
"Cunda beeile dich! Hole des Tathagata Mahl! Unter allen Gaben ist diejenige, die schnell geschenkt wird, die beste. Das Geschenk, das man schnell macht, lässt den Samen des Danaparamita (vollkommener Freigebigkeit/Großzügigkeit) keimen. Daher heißt das rücksichtsvolle und angemessene Spenden von dem, was man irgend hat - Spenden an Mönche oder Nonnen, an Upasakas oder Upasikas (Anhänger/Anhängerinnen), die alle zu irgendeinem Zweck gereist und erschöpft sind - 'schnelles Spenden' (akalika-dana). Cunda, du sollst auf ähnliche Weise dem Tathagata mitsamt dem Mönchs-Sangha die letzte Mahlzeit aus dem anbieten, was du besitzt, ganz gleich, ob es viel oder wenig, etwas Besonderes oder Gewöhnliches sei. Die Zeit naht, zu der der Tathagata ins Parinirwana eingehen wird."
Dann sagte Cunda, "Ehrwürdiger Manjusri, hängst du am Essen? Warum erinnerst du mich daran, Essen anzubieten, ganz gleich ob es viel oder wenig, etwas Besonderes oder Gewöhnliches sei? Der Erhabene hat sechs Jahre lang ein Leben der Askese geführt; vermag er denn jetzt nicht einmal ein paar Augenblicke zu warten? Der Tathagata ist ein Dharmakaya (unfassbarer Körper-und-Geist der höchsten Realität) und kein von Nahrung abhängiger Körper (amisa-kaya); warum müsste der Erhabene also irgend ein Mahl einnehmen?"
Darauf sagte der Erhabene, "Manjusri, es ist so, wie Cunda gesagt hat. Vortrefflich, vortrefflich, Cunda! Du hast große Einsicht in das Mahayana. Du hast das Mahayana gut verstanden."
Manjusri sagte weiter, "Wenn der Tathagata so zufrieden ist, dann möge sein Leben lang sein!"
Cunda sagte, "Könnte es sein, dass der Erhabene mit mir allein zufrieden ist, oder ist er mit allen Lebewesen zufrieden?"
Manjusri gab Antwort, "Vielleicht ist der Erhabene weder mit dir, mir, noch mit allen Wesen zufrieden!"
Cunda sagte, "Sage so etwas nicht! Wenn jemand sich froh fühlt, hat jener Mensch verkehrte Gedanken (viparata-samjna). Wir sind es, die so handeln. Bei dem Tathagata gibt es weder Vergnügen noch Freude. Als Beispiel: eine hungrige Kuh, die Gras frisst, wird wohl zum Dorf zurückkehren, und dies aus Liebe zu ihrem Kalb (auch wenn die Kuh noch Hunger hat); aber die Liebe des Tathagata ist nicht so, sondern erstreckt sich auf alle Lebewesen und betrachtet sie alle als seinen Sohn, Rahula, denn die Reichweite von Buddhas Einsicht (prajna) ist so.
"Ehrwürdiger Manjusri, eben so wie sich, zum Beispiel, ein Karren, der von einem Esel gezogen wird, nicht mit einem Streitwagen messen lässt, der von einem gut zugerittenen Vollblutpferd gezogen wird, auf ähnliche Weise: wie können wir, die wir im Vergleich zu seiner Einsicht dem Esel-Karren gleichen, je seine Absicht erfassen?
"Als Beispiel! Ein Garuda (d.h. ein fantastischer, mythologischer Vogel), der am Himmel wohnt und unzählige Yojanas weit fliegt, schaut auf das Meer nieder und sieht die verschiedenen Fische und Schildkröten, die drin leben, ganz klar, als wären sie Spiegelbilder seines eignen Selbst auf der Fläche eines Spiegels; aber gewöhnlichen Wesen gebricht es an soicher Sehschärfe, und so sind sie nicht imstande, die Sehkraft des Garuda zu beschreiben. So ist es mit dem Tathagata."
Manjusri sagte, "Cunda, so ist es. ich habe also gesprochen, um die Größe der Bodhisattvas zum Ausdruck zu bringen."
Darauf entströmten der Stirn des Erhabenen vielfarbige Lichtstrahlen, die Manjusris Körper berührten. Dann, als er dessen gewahr wurde, sagte Manjusri-Kumara-Bhuta zu Cunda, dem Sohn des Schmiedes, "Cunda, der Tathagata wird bald ins Nirwana eingehen; du solltest daher das Mahl für ihn unverzüglich zubereiten. Diese Lichtstrahlen kommen nicht ohne Grund aus des Erhabenen Stirn."
Da schwieg Cunda. Darauf sagte der Erhabene folgendes zu Cunda, "ich werde bald ins Parinirwana eingehen. Bereite das Mahl zur rechten Zeit für den Mönchs-Sangha zu." Er sagte dies ein zweites und ein drittes Mal.
Dann antwortete Cunda folgendermaßen: "Weh! Wenn der Erhabene fort ist, wird die Welt ein leerer Platz sein! Wir wollen alle den Erhabenen mit unseren Tränen inständig bitten, sich nicht zu parinirvanisieren!"
Darauf sagte der Erhabene zu Cunda, "Cunda, gräme dich nicht, quäle dich nicht so! Wisse: der menschliche Körper ist ohne Kern, wie ein Plantainbananenbaum. Sieh ein, dass er wie eine Luftspiegelung ist, (oder) wie Schaum, wie eine Illusion, wie ein von einem Töpfer gemachtes Gefäß oder wie ein Blitz. Wisse, dass zusammengesetzte (samskrta) Dinge eine Quelle grenzenlosen Übels sind. Schau dir die wahre Beschaffenheit von zusammengesetzten Dingen an!"
Dann sagte Cunda zum Erhabenen, "Wieso sollte ich mich denn nicht grämen, jetzt wo der Erhabene nicht beschließt, aus Liebe zu mir und zu allen Wesen länger da zu bleiben? Die Welt wird leer, sie wird nichts sein."
Dann antwortete der Erhabene dem Cunda, "Es ist eben aus Güte zu dir und aus Güte zu allen Wesen, dass ich ins Parinirwana eingehe, denn dies ist das wahre Wesen (dharmata) von Buddhas und die Wirklichkeit von zusammengesetzten Dingen. Begreife den Vers, der erklärt: 'Alle zusammengesetzten Dinge (samskara) sind unbeständig.' Verstehe, dass alle Dinge (dharma) Leiden sind, weil sie zusammengesetzten Dingen beigemengt sind! Sei dir darüber im klaren, dass alle Dinge ohne ein (andauerndes, unvergängliches, individuelles) Selbst sind! Betrachte sie als nicht fest, als Schatten, als verkehrt! Wisse, dass dieser Körper unzählige Mängel hat! Sieh ihn als Schaum an und gräme dich nicht! Sei nicht traurig!"
Dann sagte Cunda folgendes zum Erhabenen: "Erhabener, wenn ich die Sache so betrachte, so ist es keine unerträglich große Misere. ich bin überglücklich, wenn sich der Erhabene als zweckdienliches Mittel (upaya) paranirvanisiert."
Der Erhabene sagte, "Vortrefflich, Cunda, vortrefflich! Ein edler Sohn (kulaputra) sollte mein Parinirwana als soich ein zweckdienliches Mittel ansehen. Cunda, du sollst dir das Verscheiden eines Buddha so vorstellen, als ob es sich um eine sich nach oben aufschwingende Sarasa-Gans handelte. Cunda, verstehe den Unterschied zwischen einem langen Leben und einem kurzen Leben. Cunda, alle Dinge (dharma) sind ihrem Wesen nach magischen Illusionen gleich. Obwohl ein Tathagata eine zweckdienliche Natur inmitten aller Dinge hat, wird er von ihnen (d.h. von allen Dingen) nicht beschmutzt, denn das ist das Wesen aller Erhabenen-Buddhas.
"Cunda, du solltest das Essen bald darreichen, damit du das große Meer des Daseins durchqueren magst. Mögen die Götter, Asuras und Menschen zu unerschütterlicher Glückseligkeit gelangen, nachdem jeder von ihnen mir seine Opfergabe dargereicht hat! Du solltest dich auch beeilen und deine Opfergabe einem wertvollen Empfänger ohne Säumnis anbieten! 'Ein wertvoller Empfänger' und 'der Tathagata' bedeuten das gleiche."
Da sagte Cunda mit gesenktem Kopf und mit fließenden Tränen zum Erhabenen, damit alle Wesen völlig befreit werden dürften, "Sehr wohl, ich verstehe. Wie der Tathagata nach seinem Parinirwana betrachtet werden sollte, ist jenseits der insektartigen Reichweite unserer Erfahrung; es liegt sogar außerhalb der Erfahrung der Sravakas und Pratyekabuddhas."
Darauf umkreisten Cunda und sein Gefolge in Kummer und Gram den Erhabenen und erwiesen ihm große Ehrerbietungen. Und dann, indem sie den Erhabenen und Manjusri-Kumara-Bhuta grüßten, holten sie das Mahl hervor.